Polit-Märchen 6:
"Griechenland braucht einen Marshall-Plan"
Um Griechenland wieder auf die Beine zu helfen, wird immer öfter die Forderung nach einem Marshall-Plan laut. Könnte Griechenland eine solche - weitere - Transferzahlung helfen?
Der Marshall-Plan
Von 1948 bis 1953 haben die Amerikaner im Rahmen des sogenannten Marshall-Plans an Europa sehr großzügige Wiederaufbauhilfen in Form von Waren- und Rohstofflieferungen im Wert von insgesamt 13,9 Mrd. Dollar geleistet, was inflationsbereinigt heute einem Betrag von ca. 100 Mrd. Euro entspräche. Der Löwenanteil ging mit 3,4 Mrd. Dollar an Großbritannien, Griechenland erhielt 694 Mio. Dollar.
Im Schnitt betrug die Summe damals 92 Dollar für jeden Griechen. Inflationsbereinigt und bei heutigem Wechselkurs entspricht das ungefähr einem Betrag von 680 Euro pro Person. (Für Deutschland gab es damals übrigens nur 6 Dollar pro Kopf, plus 15 Dollar als Kredit.)
- Quelle 1: Wikipedia, Marshallplan
- Quelle 2: Population Division of the Department of Economic
and Social Affairs of the United Nations Secretariat, World Population
Prospects: The 2010 Revision
- Quelle 3: Bundeszentrale für politische Bildung, Der
Marshallplan in Europa
- s. auch genauere Tabelle hier
Bisherige EU-Leistungen an Griechenland
Laut Untersuchungen des Finanzwissenschaftlers Franz-Ulrich
Willeke hat Griechenland aus den diversen Brüsseler
Fördertöpfen von 1991 bis 2008 inflationsbereinigt aber schon
allein mehr als 133 Mrd. Euro erhalten, und zwar netto
(zitiert nach FAZ vom 10.2.2012).
Das sind Geschenke von um die 12.000 Euro pro Kopf!
Die aktuellen Rettungspakete sind dabei wohlgemerkt nicht
dabei. Es handelt sich lediglich um die ganz normale
Strukturhilfe der EU, die also bereits bisher um einen Faktor 17 größer war als der Marshall-Plan für Griechenland,
der seinerseits pro Kopf bereits schon um mehr als Faktor 15 größer war
als der für Deutschland.
Vergleich mit den Baltenländern
Interessant ist ein Vergleich zwischen Griechenland und den Baltenländern. Beispielsweise waren die Letten mit einem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von lediglich 10.200 € im Jahr 2007 (also vor der Krise) gegenüber den Griechen arm wie Kirchenmäuse. Die Griechen hatten nämlich mehr als das doppelte BIP von 22.700 € pro Kopf zur Verfügung.
Die Krisenjahre führten dann überall zu einem Einbruch der Wirtschaftsleistung. Auf dem Höhepunkt der Krise im Jahr 2009 schrumpfte das BIP pro Kopf in Griechenland um 4,6 % gegenüber dem Vorjahr und löste die größte finanzpolitische Rettungsaktion aus, die es in Europa je für ein Land gegeben hat.
Dramatisch viel schwerer gebeutelt wurden in der Krise aber die Balten. Am schlimmsten betroffen war Estland, das einen Einbruch von sagenhaften 14,6 % verkraften mußte! Dafür hat sich allerdings kaum jemand interessiert, und Hilfen aus EFSF und ESM gab's auch keine. Grund: Estland ist erst 2011 der Eurozone beigetreten (Lettland 2014, Litauen 2015).
Nun hätte man erwarten können, daß Griechenland wegen der milliardenschweren Hilfen sehr viel schneller wieder auf die Beine kommt als Estland, das massivste Einsparungen durchführen mußte, die die der Griechen bei weitem überstiegen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Während die Esten bereits im nächsten Jahr wieder ein Wachstum von 2,4 % Prozent verzeichnen konnten, schrumpfte Griechenland immer weiter und erreichte die Talsohle mit -9 % erst im Jahr 2011, als Estland mit 7,9 % schon wieder in einem satten Plus stand.