Polit-Märchen 3:

"Deutschland profitiert vom Euro am meisten"

Dies ist eine der beliebtesten Aussagen der Euro-Befürworter in Politik und Medien. Wie üblich wird sie als Glaubenssatz geäußert, ohne weitere Hinweise, nach welchen Kriterien diese Behauptung denn gemessen werden könnte. Schauen wir uns mal ein paar wichtige ökonomische Indikatoren über die letzten Jahre hin an.

Bruttoinlandsprodukt

Betrachten wir noch einmal das reale, kaufkraftbereinigte Bruttoinlandsprodukt. Wenn Deutschland tatsächlich am meisten vom Euro profitierte, müßte man erwarten können, daß in Deutschland das BIP seit Einführung des Euro im Jahr 1999 stärker gewachsen ist als in allen anderen Euro-Ländern. Doch was ist die Realität?

Wachstum des realen BIPs zwischen 1999 und 2016, EU-Länder

Wie man sieht, hat diesen Spitzenplatz keineswegs Deutschland inne, sondern Irland, das bis zum Jahr 2016 sein BIP auf gut 295 % vergrößert und damit nahezu verdreifacht hat. Und wo steht Deutschland? Im Vergleich zu 1999 hat Deutschland sein BIP nur auf magere 172,8 % gesteigert und landet damit auf dem viertletzten Platz aller Euroländer! Nur Portugal, Italien und Griechenland haben in der Eurozone ein noch schlechteres Ergebnis eingefahren.
(Anmerkung am Rande: Von wem mußte Irland in der Finanzkrise noch gleich gerettet werden?)

Quelle: Eigene Berechnung aus Daten des IWF (Gross domestic product based on purchasing-power-parity)

Arbeitnehmerentgelte

Bemerkenswert ist auch ein Blick auf die Veränderung der inflationsbereinigten Arbeitnehmerentgelte (das sind die gesamten Lohnkosten der Arbeitgeber, inklusive aller Sozialabgaben und zusätzlicher Leistungen) seit Einführung des Euro im Jahr 1999:

Veränderung der Arbeitnehmerentgelte seit 1999

Es zeigt sich, daß in der Vorkrisenzeit zwischen 1999 und 2008 Deutschland den mit weitem Abstand geringsten Zuwachs von gerade einmal 2,2 Prozent hatte. (Wenn man die Arbeitnehmerentgelte pro Kopf betrachtet und nicht in Summe wie hier, lag Deutschland wegen wachsender Beschäftigtenzahlen sogar im Minus.)
Erst nach der Krise holt Deutschland wieder etwas auf. Trotzdem verzeichnen die deutschen Arbeitnehmer mit einem Zuwachs ihrer Entgelte von 21,3 Prozent seit 1999 ein ausgesprochen mageres Ergebnis und belegen nur den drittletzten Platz aller Eurogründungsländer!

Handelsvolumen

Auch ein Blick auf die Handelsvolumina Deutschlands fördert Interessantes zu Tage. Wenn Deutschland vom Euro doch so besonders profitiert, sollte man erwarten, daß der Handel mit der Eurozone im Lauf der Jahre überproportional gestiegen ist. Die Zahlen belegen jedoch auch hier das Gegenteil.
Die folgende Graphik zeigt die Exporte und Importe Deutschlands, in jedem Jahr getrennt in die damals jeweils aktuelle Eurozone und den Rest der Welt. Die Summe beider Zahlen ergibt das komplette Export- bzw. Importvolumen Deutschlands eines Jahres.

Handelsvolumen Deutschlands

In der Tat sind die Exporte in die Eurozone von 225,7 Mrd. Euro im Jahr 1999 auf 441,1 Mrd. Euro im Jahr 2016 gestiegen; das entspricht einem Zuwachs von gut 95 %.
Die Exporte in den Rest der Welt haben sich im gleichen Zeitraum aber von 284,3 Mrd. Euro auf 762,7 Mrd. Euro vermehrt. Sie sind damit nicht nur absolut deutlich größer, sondern haben sich auch relativ viel stärker entwickelt, nämlich um 168 % seit Einführung des Euros.
Ein ganz ähnliches Bild zeigt sich auch beim Vergleich der Importe aus der Eurozone und aus dem Rest der Welt nach Deutschland. Mit anderen Worten: Die wirtschaftliche Bedeutung der Eurozone nimmt für Deutschland keineswegs zu, sondern im Gegenteil massiv ab!

Quelle: Eigene Berechnung aus Daten des Statistischen Bundesamts (Aus- und Einfuhr (Außenhandel): Deutschland, Jahre, Länder)

Fazit

Die Behauptung, Deutschland profitiere vom Euro am meisten, mutet bei Betrachtung der nackten Zahlen doch recht abenteuerlich an. Und für die deutschen Arbeitnehmer trifft die Behauptung schon gar nicht zu.